Tag 3: Lang, lang ist’s

Irgend etwas ist immer lang. Jedenfalls in der betonten Silbe jedes Wortes. Und nur da. Im gesamten Skandinavischen. Außer Dänisch.

En fin dam (eine feine Dame).
En fin damm (ein feiner Teich).

In etwa mit dieser Beschreibung kann man sich ein lautliches Phänomen merken, das einiges zum Höreindruck der skandinavischen Sprachen beiträgt, nämlich die sogenannte Silbenbalance. Dabei geht es um lange und kurze Laute und ihr Verhältnis zueinander.

Lange und kurze Laute werden in vielen (nicht allen) Sprachen unterschieden. Im Deutschen kennen wir den Unterschied zwischen langen und kurzen Vokalen: Die betonten Vokale in Miete, Ofen und Wahn sind lang, die in Mitte, offen und wann sind kurz. (Sie haben auch typischerweise verschiedene Klangfarben, aber das lassen wir jetzt außen vor.) Bei den Konsonanten rechnen wir im Deutschen dagegen normalerweise nicht mit einem Gegensatz zwischen Kürze und Länge: Die Konsonanten in Miete, Mitte, Ofen, offen, Wahn und wann sind alle gleich lang. Allerdings können in der Umgangssprache, unter anderem in Norddeutschland, manche Konsonanten lang ausgesprochen werden, Ich spreche zum Beispiel kommen mit einem langen m, also ungefähr kommmm.

In den skandinavischen Sprachen (außer Dänisch) kommen dagegen nicht nur fast alle Vokale, sondern auch fast alle Konsonanten in einer langen und einer kurzen Version vor. Es gibt also zum Beispiel auch ein langes p wie in schwedisch pappa (Vater), ein langes l wie in norwegisch kalle (rufen) oder ein langes s wie in isländisch kassi (Kiste). Deutschsprachigen Lerner:innen fällt es gerade am Anfang oft schwer, diese Konsonanten lang zu sprechen oder den Unterschied zwischen langen und kurzen Konsonanten überhaupt zu hören.

Zum Glück können Konsonanten nur unter bestimmten Bedingungen lang sein – und genau da kommt die Silbenbalance ins Spiel, eine Regelmäßigkeit im Aufbau von Wörtern, die man ungefähr so beschreiben kann:

Eine (etwas technischere) Illustration der Silbenbalance.
  1. Lange Laute kommen überhaupt nur in betonten Silben vor. Wenn man weiß, wo in einem Wort die Betonung liegt, braucht man sich um alle Laute an anderen Stellen gar keine Gedanken mehr machen – die sind alle kurz. Wir wissen also schon einmal, dass in den schwedischen Wörtern mening (Meinung), ligga (liegen) und svenskarna (die Schweden) nur die fett markieren Teile lange Laute enthalten können.
  2. Die einzigen Laute, die in betonten Silben lang sein können, sind die jeweiligen Vokale und die direkt darauf folgenden Konsonanten. Also kommen nur noch in Frage: mening, ligga und svenskarna.
  3. Es ist in jeder betonten Silbe genau ein Laut lang, entweder der Vokal oder der Konsonant, nie beides und auch nie nichts. Es gibt also nur die Möglichkeiten langer Vokal + kurzer Konsonant und kurzer Vokal + langer Konsonant. Also genügt es zu wissen, welcher genau dieser beiden Laute lang ist. (Auflösung: Es heißt meeeening, ligggga und svennnnskarna.)

Welche Laute lang sind, erkennt man oft (leider nicht immer) an der Schreibung der Konsonanten: Doppelt geschriebene Konsonanten sind lang (wie in ligga), und wenn mehrere Konsonanten auf den betonten Vokal folgen, ist normalerweise der erste davon lang (wie in svenskarna).

In zusammengesetzten Wörtern können natürlich mehrere Silben betont sein, und dann kommen auch entsprechend mehr lange Laute vor – wie zum Beispiel in kaffekopparna (die Kaffeetassen).

Zwei Spielverderberhinweise am Ende:

  • Ob von mehreren Konsonanten nach dem betonten Vokal der erste wirklich immer lang ist, ist nicht abschließend geklärt; hier gibt es unterschiedliche Befunde und Annahmen.
  • Die Silbenbalance gilt in den Standardvarietäten, aber nicht in allen Dialekten. Im Finnlandschwedischen kommen zum Beispiel auch Silben ganz ohne lange Laute vor, und auch lange Vokale und lange Konsonanten in derselben Silbe sind möglich.