Alle in Skandinavien duzen sich … oder nicht? Die Geschichte ist ein bisschen komplizierter. Aber es stimmt schon: Die allermeisten duzen einander, und es gibt fast keine Situation, in der Duzen nicht in Ordnung wäre.
Das war nicht immer so. In den 1950ern war das Duzen auch in Skandinavien noch ziemlich unüblich. Man sprach sich unter Erwachsenen mit Herr, Frau oder Fräulein und mit Nachnamen an, wenn man nicht gut befreundet oder verwandt war – oder noch besser mit einem Titel, sodass man die 2. Person in der Anrede ganz vermied (möchte der Professor noch einen Kaffee?). Ansonsten gab es noch Anredeformen, die dem deutschen Siezen ähnelten, zum Beispiel De auf Dänisch und Norwegisch oder ni auf Schwedisch. Das änderte sich allmählich ab den 1960er Jahren, und spätestens in den 1970ern war das Duzen so verbreitet, dass der Eindruck entstand, es gebe womöglich gar kein Sie in den skandinavischen Sprachen. Dieser Wandel hatte auch mit der egalitären Tradition der skandinavischen Gesellschaften zu tun, die durch die häufig sozialdemokratischen Regierungen unterstützt wurde.
Aber die Sie-Formen existieren durchaus noch. Mitglieder der königlichen Familien zu duzen ist zu Beispiel nicht unproblematisch. Unvergessen ist eine Pressekonferenz von 2015, in der die damalige Königin Margrethe II. sich das versehentliche Du eines Journalisten verbat. In der Tat erwartete das Protokoll, dass die Monarchin mit De angesprochen wird – oder mit Deres Majestæt (Ihre Majestät). Dasselbe gilt im Prinzip am schwedischen Hof, wo man die Sache in einer ähnlichen Situation ebenfalls 2015 aber entspannter sah. In jedem Fall zeigen solche Beispiele aber, wie ungewöhnlich alles andere als Duzen heute ist – man vergisst es leicht.
In förmlichen Situationen oder offiziellen Schreiben kann es aber vorkommen, dass auch heute noch gesiezt wird. Und manch einer will höflich sein und tritt dann aber ins Fettnäpfchen. Häufig wird berichtet, dass zum Beispiel Servicepersonal in Schweden Kund:innen oder Gäste siezt und dass dann nicht auf Gegenliebe stößt: Viele fühlen sich zu jung, um gesiezt zu werden. Und Ältere erinnern sich noch an alte Zeiten, in denen die Höflichkeit asymmetrisch funktionierte: Wer einen Titel hatte, wurde auch damit angesprochen; im Umkehrschluss hieß bloßes Siezen: Sie haben ja nicht einmal einen Titel!