Tag 2: Elchende Elche

Verben können viele Arten von Ereignissen ausdrücken, darunter das, was in der Sprachwissenschaft Selbstbewegung genannt wird: Jemand oder etwas bewegt sich selbst von einem Ort zum anderen. Es gibt aber nicht nur ein Selbstbewegungsverb, sondern viele: Wir können irgendwohin fahren, fliegen, schwimmen, gehen, laufen, schlendern, einen Raum betreten, ein Haus verlassen, einen Berg erklimmen oder eine Straße überqueren.

Diese Verben sagen noch mehr aus, als nur Selbstbewegung auszudrücken. Interessanterweise unterscheiden sich Sprachen darin, welche Aspekte typischerweise vom Verb selbst mit ausgedrückt werden und welche mit Hilfe von anderen Wörtern ergänzt werden müssen.

Im Deutschen gibt es zum Beispiel Verben, die etwas über Ziel oder Weg aussagen. Meistens haben diese Verben Präfixe: betreten (= in etwas hineingehen), verlassen (= sich aus etwas herausbewegen), erklimmen (=auf etwas hinaufklettern), überqueren (= sich auf der Oberfläche von etwas von einer Seite zur anderen bewegen). Auf Englisch gibt es Verben mit solchen Bedeutungen auch, aber sie sind oft präfixlos: enter a room, leave a house, climb a mountain, cross a street.

Oft sagen Verben aber auch etwas über die Art der Bewegung aus: Wer fährt, tut das mit einem Fahrzeug (zu Lande oder zu Wasser), wer fliegt, bewegt sich durch die Luft, wer schwimmt, tut das in einer Flüssigkeit. Gehen, laufen und schlendern bezeichnen verschiedene Bewegungsabläufe mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten.

Elchender Elch.

Darum geht es auch bei Tierverben. Bei Tierverben ist der Verbstamm identisch mit dem Namen eines Tiers, und das Verb drückt aus, dass der Bewegungsablauf einer charakteristischen Bewegung dieses Tiers ähnelt. Aus dem Deutschen kennen wir zum Beispiel tigern, krebsen, robben, hechten oder dackeln, und man kann sich aalen oder schlängeln. Was man dagegen nicht tut: *pferden, *hunden, *rindern oder *schweinen. Vielleicht liegt das daran, dass diese Tiere über keine so typischen Bewegungsmuster verfügen wie zum Beispiel Krebse oder Schlangen. Aber wir können auch nicht *hirschen oder *hasen, auch wenn sich diese Tiere durchaus auf eine leicht wiedererkennbare Art bewegen.

Auf Schwedisch gibt es mehr und andere Tierverben als im Deutschen. Manche – zum Beispiel åla (aalen), orma (schlängeln) und älga (elchen) – kennen alle Wörterbücher, andere sind vielleicht weniger fest etabliert, kommen im Sprachgebrauch aber trotzdem vor und werden teilweise auch spontan neu gebildet. So finden wir unter anderem krabba (krebsen), hara (hasen), snigla (schnecken), elefanta (elefanten), måsa (möwen) und hjorta (hirschen).

Eichhörnchen, während einer Pause vom Eichhörnchen.

Gerade bei neuen Tierverben wie hjorta stellt sich natürlich die Frage: Woher weiß man als Sprecher:in, was das bedeutet, wenn man dem Wort zum ersten Mal begegnen? Ein Teil der Antwort ist: Man weiß, dass hjorta ein Bewegungsverb ist, weil es in Kontexten vorkommt, in denen wir auch sonst Bewegungsverben erwarten. Hon springer till affären (sie läuft zum Laden) und han hoppade iväg till skolan (er sprang los zur Schule) folgen beide demselben Muster: någon verb-ar någonstans (jemand verb-t irgendwohin), und was auch immer wir für X einsetzen, gibt eine Art von Bewegung an.

Also lässt sich die Grundbedeutung ‚Bewegung‘ auch da erschließen, wo wir die genauere Bedeutung eines Wortes vielleicht nicht kennen. De hjortade iväg till veterinären (sie hirschten los zum Tierarzt) ist damit auch für Menschen verständlich, die die typische Bewegung eines Hirschs nicht direkt vor Augen haben, und dasselbe gilt für jag elefantar hem (ich elefante nach Hause). Wem das nicht reicht, der kann ja auch auf einen Baum eichhörnchen (ekorra upp i ett träd).