Bei aller vorweihnachtlicher Heimlichkeit und Hektik kann es vorkommen, dass man unsicher wird: Habe ich alles? Muss noch etwas vorbereitet werden? Man zweifelt und zögert, und am Ende muss man sich vielleicht selbst überzeugen. Eine gute Gelegenheit, einen Blick auf die Herkunft der entsprechenden Wörter zu werfen.
Der Zweifel ist in den festlandskandinavischen Sprachen eine niederdeutsche Angelegenheit. Das dänische tvivl, das norwegische tvil und das schwedische tvivel kommen allesamt vom mittelniederdeutschen twīvel (heute Twievel), und auch davon abgeleitete Wörter haben häufig ihren Ursprung oder ihr Vorbild in niederdeutschen Entsprechungen, zum Beispiel die Verben tvivle/tvile/tvivla (mnd. twīvelen, heute twieveln) oder das schwedische tvivelaktig (mnd. twīvelhaftich, heute twievelhaftig).
Für Zögern gilt dasselbe. Hier haben wir im Dänischen und Norwegischen tøve, im Schwedischen (etwas altertümlich) töva. Diese Wörter sind Übernahmen aus dem Niederdeutschen (mnd. tȫven). Das Wort ist auch heute im Niederdeutschen üblich (töven), und zwar in der allgemeineren Bedeutung warten: Tööv man noch twee Daag, denn is Wiehnachten (warte noch zwei Tage, dann ist Weihnachten). In der Bedeutung ähnlich ist ein anderes Wort, nämlich dänisches und norwegisches nøle und schwedisches (dialektales) nöla. Hier klingt neben dem Zögern häufig auch ein gewisses Maß an Widerwillen an: Man zögert, etwas zu tun, weil man eigentlich nicht will. Auch hinter diesem Wort steckt das Niederdeutsche (mnd. nȫlen). Heute bedeutet nölen im Niederdeutschen und auch im norddeutschen Hochdeutsch neben der älteren Bedeutung auch (und besonders) quengeln. Von demselben Wort abgeleitet ist übrigens das dänische efternøler (jüngstes Geschwisterkind) – die Bedeutung erklärt sich darüber, dass das jüngste Kind gewissermaßen der Nachzügler in der Familie ist, der sich am meisten Zeit gelassen, also am längsten gezögert hat. Dieses Wort finden wir auch im Norwegischen (Bokmål etternøler, Nynorsk etternølar) und Färöischen (eftirnølari).
Müssen ist ein Wort mit vielen verschiedenen Entsprechungen in den skandinavischen Sprachen; für Lerner ist das oft nicht einfach zu verstehen. Aus niederdeutscher Perspektive ist vor allem das schwedische måste interessant – und geradezu kurios. Schon grammatisch fällt dieses Verb aus dem Rahmen: Es gibt (außer im Finnlandschwedischen) keinen Infinitiv, dafür heißen Präsens und Präteritum gleich (nämlich måste), und die einzige anderslautende Form ist das (seltene) Supinum måst. Der Ursprung dieses Verbs liegt in der mittelniederdeutschen Form moste, also dem Präteritum von mȫten (müssen), die mitsamt der Endung -te entlehnt und dann auf Schwedisch auch außerhalb des Präteritums gebraucht worden ist. Im Niederdeutschen selber ist die Endung inzwischen verschwunden, jedenfalls in den Dialekten, die in diesem Adventskalender vorkommen. Hier heißt das Verb heute möten, und im Präsens heißt es dann zum Beispiel ik mutt (ich muss), im Präteritum aber ik müss (ich musste).
Schließlich das überzeugen: Hier haben wir im Dänischen overbevise, im Norwegischen overbevise und overtyde, im Schwedischen övertyga. Alle diese Wörter kommen aus dem Niederdeutschen, und alle haben etymologisch etwas mit Gerichtsverfahren zu tun:
Hinter overbevise steckt das mittelniederdeutsche ȫverbewīsen, worin sich wiederum die Wörter bewīsen (beweisen; heute bewiesen) und wīsen (zeigen; heute wiesen) verstecken. Es geht also ursprünglich darum, vor Gericht etwas zu zeigen, das einen Sachverhalt beweist und bei der Urteilsfindung überwiegt.
Die Bedeutung von övertyga ist fast dieselbe: Mittelniederdeutsches ȫvertǖgen (heute övertügen) enthält tǖge (Zeuge; heute Tüüg). Was vor Gericht überzeugt, ist also eine Zeugenaussage. Dasselbe Wort ist auch der Ursprung des norwegischen overtyde, wobei sich da zusätzlich das einheimische Verb tyde (deuten) eingemischt hat.